Bei der Landung nach einem Sprung wirken starke Kompressions- und Scherkräfte auf das Kniegelenk, welche abhängig von Geschwindigkeit, Sprunghöhe und Landungswinkel ein Vielfaches des eigenen Körpergewichts betragen. Damit die Kniegelenke diese Kraft ertragen können, ist sowohl die Technik bei der Landung, wie auch die maximale Kraft und Beweglichkeit des Knies von zentraler Bedeutung. Nicht selten kommt es bei ungünstigen Landungen zu einer Kniedistorsion (=Knieverdrehung) mit Überdehnung/Einriss der Gelenkskapsel oder Bandstrukturen und Meniskusverletzungen auf der Innen-oder Außenseite. Nicht immer ist eine operative Behandlung sofort indiziert. In diesem Artikel wird die physiotherapeutische Behandlung einer Patientin mit einem konservativen Behandlungsansatz vorgestellt.
Hanna ist 42 Jahre alt und liebt es mit ihrer Familie wakeboarden zu gehen. Sie skatet auch viel, macht gerne Riversurfing und mag alles was Action bietet. Normalerweise bereitet sie sich im Winter auf die kommende Saison mit Zirkeltraining, Squash und Tennis spielen vor. Doch aufgrund der Corona-Pandemie, ist das Training über die Wintermonate zu kurz gekommen. Beim Wakeboarden springt sie über Rampen und versucht verschiedene Tricks auszuprobieren. Und obwohl sie damit viel Erfahrung hat und nach eigenen Angaben gut gelandet ist, kam es höchstwahrscheinlich zu einem wegknicken und/oder verdrehen des Knies, sodass sie sofort aufgrund der massiven Schmerzen Hilfe benötigte, um wieder ans Ufer zu gelangen. Das fehlende Training hat sie eindeutig unterschätzt.
Nachdem die Schmerzen nicht besser wurden, suchte Hanna Dr. Rupert Schuster Orthopäde in der Orthosportpraxis auf. Anhand der Beschreibung des Unfallhergangs, der Symptome und der Durchführung verschiedener Stabilitätstests für das Knie sowie einem bildgebenden Verfahren (MRT, Magnetresonanztomographie), konnte eine Läsion des Innenmeniskus, eine Teilruptur (=Einriss) des vorderen Kreuzbands und ein Knochenmarksödem diagnostiziert werden. Hanna wird aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung empfohlen eine konservative Behandlung mit entsprechender Physiotherapie zu machen, da derzeit keine Indikation für eine operative Versorgung besteht.
Das Kniegelenk ist eine Verbindung zwischen Oberschenkelknochen (Femur), Schienbein (Tibia) und der Kniescheibe (Patella). Die überknorpelten Gelenkflächen des Femurs werden [MOU1] (griech. Knollen) genannt und weisen eine sehr starke Rundung auf. Zwischen Ober-und Unterschenkelknochen liegen zwei faserknorpelige Menisken. Der Außenmeniskus ist halbrund, der Innenmeniskus ist sichelförmig und mit dem inneren Seitenband verwachsen. Der Innenmeniskus ist häufiger bei Verletzungen betroffen, da dieser weniger beweglich ist. Am häufigsten kommt es zu Meniskusrissen, wenn der Fuß unter Gewichtsbelastung fixiert ist und der Oberschenkelknochen rotiert (Diemer & Sutor, 2007).
Das Kniegelenk ist durch komplexe Bandstrukturen (Ligamente) gesichert. Die Seitenbänder stabilisieren das Kniegelenk seitlich vor allem bei Kniestreckung. Die Kreuzbänder in der Gelenkhöhle stellen sicher, dass die Kondylen des Oberschenkelknochens bei der Kniebeugung nicht nach vorne oder hinten abrutschen können. Bei Hanna ist ein Teil des vorderen Kreuzbands (VKB, Ligamentum cruciatum anterius) eingerissen. Bei der Untersuchung zeigen die Kreuzband-Tests (Lachmann-Test, vordere Schublade) einen größeren Bewegungsspielraum von wenigen mm links, was bestätigt, dass das vordere Kreuzband nur partiell eingerissen ist.
Früher wurden Teile des Meniskus bei Verletzungen noch großzügig entfernt, mittlerweile setzt man auf die größtmögliche Erhaltung der Menisken, da sie eine wichtige Rolle im Kniegelenk übernehmen. Die Menisken bewegen sich bei allen Kniebewegungen mit, vergrößern die Kontaktfläche zwischen den zwei Gelenkpartnern, gleichen die unterschiedlichen Gelenkflächen aus und absorbieren Kompressions-und Scherkräfte. Sie sind außerdem an der Ernährung des Knorpels mitbeteiligt. Mittlerweile wurde mehrfach nachgewiesen, dass die Menisken auch Nervengewebe enthalten und nicht nur schmerzauslösende Struktur sein können, sondern auch neurophysiologische Organe sind. Das bedeutet, dass die Menisken bei Belastung und Bewegung steuernd eingreifen und die Muskelaktivität beispielsweise entsprechend bei Belastung modifizieren (Diemer & Sutor,2007) .
Der Meniskus lässt sich in verschiedene Zonen unterteilen. Der äußere Bereich nennt sich rot-rote Zone, in der Mitte ist die rot-weiße Zone und ganz innen die weiß-weiße Zone. Die äußere rote Zone ist die größte und gut durchblutet, während in der weiß-weißen Zone keine Durchblutung mehr vorhanden ist. Speziell bei kleinen, inkompletten stabilen Längsrissen in der rot-roten oder rot-weißen Zone des Meniskus wird eine konservative Versorgung empfohlen, da diese Zonen gut durchblutet sind und somit selbst heilen können. Die Verletzung des vorderen Kreuzbands verursacht eine Einblutung und verbessert sogar häufig das Heilungspotenzial und die Prognose (Diemer & Sutor,2007).
Verletzungen des vorderen Kreuzbandes werden häufig wie bei Hanna durch große dynamische Beschleunigungs- und Abbremskräfte unter Gewichtsbelastung verursacht, wie es beispielsweise beim Landen nach ihrem Sprung im Wasser der Fall war. Häufig wird das vordere Kreuzband auch bei schnellen Richtungswechseln oder bei Gleichgewichtsreaktionen bei einem Schuss mit einem Ball verletzt. Interessanterweise ist das Risiko einer Kreuzbandverletzung bei Frauen in Form von „Non-Contact-Verletzungen“ (dh. ohne Einwirkung einer externen Kraft) um 2,4 bis 9,5 mal höher als bei Männern, was höchstwahrscheinlich auf einen hormonellen Hintergrund zurückgeführt werden kann, aber noch nicht vollständig geklärt ist (Diemer & Sutor,2007).
Bei einem akuten Meniskusriss, wie es bei Hanna der Fall war, treten meist plötzliche, stechende Schmerzen und eine Schwellung im Kniegelenk auf. Bewegungen sind oft schmerzhaft und teilweise eingeschränkt. Im Vergleich dazu sind die Schmerzen bei degenerativen, altersbedingten Verschleisserscheinungen des Meniskus oft schleichend und weniger stark. Auch bei einer Verletzung des Kreuzbandes kommt es zu ähnlichen Symptomen, wie starke Knieschmerzen, Schwellung mit Einblutung (Hämatome), Erwärmung, aber auch ein Instabilitätsgefühl, welches mit „Giving away“-Phänomenen auftreten kann. „Giving away“ bedeutet, dass man bei normaler Belastung wie z.B. beim Gehen plötzlich das Gefühl hat, dass das Knie wegknickt. Auch Hanna hat das Gefühl, dass ihr Knie seit dem Unfall nicht mehr stabil ist.
Die patientenzentrierte Therapie bei Orthosport Physio setzt ein ausführliches Erstgespräch voraus, um individuell auf die Bedürfnisse von Hanna eingehen zu können. Hanna möchte sobald wie möglich wieder mit ihrer Familie wakeboarden gehen, was als gemeinsames Ziel festgelegt wird. Aus Hannas Erzählungen wird schnell deutlich, dass ihr skaten, surfen, wakeboarden, Tennis und Squash extrem wichtig sind und sie darauf in ihrem Leben nicht verzichten möchte. Sowohl die Stop & Go Sportarten wie Tennis und Squash, als auch das Landen bei Sprüngen mit dem Wakeboard und Skateboard benötigen viel Stabilität im Kniegelenk und im Rumpf, um die Kräfte gut abfangen zu können. Zusätzlich sind bei Sprüngen Sprunggelenks- und Hüftgelenksbeweglichkeit von großer Bedeutung. Abgeleitet von Hannas persönlichen Zielen werden die physiotherapeutischen Ziele der Therapie festgelegt und die entsprechenden Maßnahmen geplant.
Lesen Sie dazu mehr im zweiten Teil unserer Blogstory und erfahren Sie wie Hanna mit Hilfe der Physiotherapie wieder zurück auf ihr Wakebaord kommen soll.